written for NORMA ACADEMY // by MARCEL GRAF
Die Metropole Berlin und ihre wilden Bewohner, damit ist nicht die weltbekannte Party Szene der Hauptstadt gemeint sondern Schwarzwild & Co. die nach Einbruch der Dunkelheit durch die Straßen ziehen. Immer wieder kommt es mit unseren tierischen Nachbarn zu Konflikten, ob Verkehrsunfälle, verwüstete Vorgärten oder geplünderte Mülltonnen, die Stadt ist ein magischer Ort für Wildtiere und Schauplatz einer aussergewöhnlichen Form der Jagdausübung - Der Stadtjagd. Kommen Sie mit auf eine Sightseeing Tour durch Berlin der besonderen Art. Mein Name ist Marcel, ich bin Jäger in dritter Generation, ehrenamtlicher Wildtiermanager und heute ihr Stadtführer. Begleiten sie mich auf meiner spannenden Pirsch durch die Straßen und Parks von Berlin, gemeinsam gehen wir auf Tuchfühlung mit Schwarzwild und erleben einen aussergewöhnlichen Jagdabend.
KAPITEL #1 RODEO IM VORGARTEN
Es ist Donnerstag 21.23 Uhr Anfang Juni, die Sonne ist gerade untergegangen. Seit Tagen war keine Wolke am Himmel und die Hitze hielt die Stadt fest im Griff, doch heute kam endlich der sehnsüchtig erwartete Wetterumschwung und es regnete den ganzen Tag. Milde 14 Grad, pünktlich zum Abend lockert die Wolkendecke über Berlin auf und der Regen lässt nach. Man kann regelrecht spüren wie die Natur aufatmet und eine kühle frische Brise durch die Straßen weht. Perfektes Wetter für einen nächtlichen Pirschgang auf Schwarzwild. Eine Woche zuvor kam es am helllichten Tage zu einen Zusammenstoß zwischen Mensch und Wildschwein. Ein Mann hatte versucht einen Keiler aus seinem Vorgarten zu verjagen, doch dieser suchte im Vorwärtsgang die Flucht und rannte ihn über den Haufen. Zum Glück ist nichts Schlimmes passiert, lediglich blaue Flecken als Zeichen der Auseinandersetzung sind zurückgeblieben. Doch die Angst und der Schock seiner Frau saß tief, da sie sich Sorgen um ihre Kinder machte. Die Familie hat mich kontaktiert und darum gebeten sich der Sache anzunehmen. Der Keiler wohnt angeblich in unmittelbarer Nachbarschaft in einem Gebüsch und streift Nachts fleißig durch das Wohngebiet, auf der Suche nach Leckereien. Ich packe mein Equipment zusammen und bereite mich auf den nächtlichen Einsatz vor.
EQUIPMENT // JEDER WAIDWERKER HAT SEIN WERKZEUG
Meine Ausrüstung besteht aus einer Sauer 404 Forest XTA im Kaliber 8x57is, in Kombination mit einem Zeiss HT 3-12x56 und dem Schalldämpfer Hunter 55i von Roedale. Zusammen bildet es für mich das perfekte Werkzeug, um im urbanen Raum Schwarzwild zu bejagen. Zum festen Bestandteil meiner Ausrüstung gehört zudem ein Wärmebildgerät, da ohne eine sichere und effiziente Bejagung in der Stadt nicht möglich wäre. Wir müssen heute Abend mit allem rechnen, ob Spaziergänger, Radfahrer oder ein sich liebendes Pärchen im Gebüsch. In punkto Sicherheit gibt es keine Kompromisse daher ist immer höchste Vorsicht geboten, der Einsatz von Technik ermöglicht es mir auch in absoluter Dunkelheit Sicherheit vor dem Schuss herzustellen. Jeder Schuss muss perfekt sitzen, bei dieser Form der Jagd gibt es keinen Spielraum, Präzision und Disziplin haben daher oberste Priorität. Ich muss mich stets auf meine Ausrüstung verlassen können, die Wahl der Munition steht dabei im Zentrum und ist entscheidend für Erfolg und Sicherheit. Das Kaliber 8x57is gibt mir genau dieses Vertrauen, gepaart mit einer optimalen Penetration beim Auftreffen des Geschosses auf den Wildkörper sorgt es für einen sofortigen Knock-Down-Effekt. Bei der Stadtjagd ist es wichtig, dass das Geschoss schnellst möglich die gesamte Energie an den Wildkörper abgibt.
KAPITEL #2 DER SAU AUF DER SPUR
In der Straße angekommen wo das Rodeo stattgefunden hatte, parke ich meinen Pickup in einer Seitenstraße und melde mich per Telefon beim zuständigen Polizeiabschnitt an. Jeder Einsatz und jeder Schuss wird gemeldet, damit die Beamten wissen wo ich gerade unterwegs bin. Ich nehme die Waffe aus dem Futteral, lade durch, schnappe mir meine Wärmebildkamera und pirsche langsam los. Mal schauen ob der Störenfried heute Zuhause ist. Es ist 22:46 Uhr und die Dunkelheit hat Einzug gehalten. Die Straßenlaternen erleuchten die noch nasse Straße und das Licht spiegelt sich in den Pfützen. Eine ruhige und klare Nacht nach einem Sommerregen, kaum jemand ist noch unterwegs, lediglich eine Katze kreuzt meinen Weg. Anwohner haben berichtet das der Keiler zwischen 23:00 und 3:00 seine Runde dreht, mal schauen ob er uns heute über den Weg läuft.
LEBENSRAUM // DER TISCH IST REICH GEDECKT
Die Stadt ist der perfekte Lebensraum für Wildtiere, hier gibt es nicht nur Nahrung im Überfluss sondern auch zahlreiche Plätze an denen sich die Tiere zurückziehen und ihren Nachwuchs aufziehen können. Ob Waschbärfamilie unterm Dach, Fuchs im Gartenhaus, Rehe auf dem Fussballplatz oder die Rotte Sauen in einer Bauruine. Wie in jeder Metropole ist der Wohnraum knapp und jeder freie Platz wird bewohnt. Historisch betrachtet gab es in Berlin schon immer eine starke Wildschwein Population begünstig durch viel Wasser, Wald und Wiesen. Doch wie fast überall in Deutschland steigt auch in Berlin die Wildschwein Population weiter stetig an. Schwarzwild zählt als Kuturfolger zu den anpassungsfähigsten Lebewesen unseres Planten und bevölkert mit nur wenigen Ausnahmen die gesamte Welt. Die Ursachen für die bestehende Überpopulation in Deutschland und der damit verbundenen Bedrohung durch die ASP (Afrikanische Schweine Pest) ist uns allen bekannt. Daher ist es an der Zeit zu handeln und die Bestände durch uns Jäger auf ein verträgliches und gesundes Maß zu reduzieren. Es ist ein Trugschuss zu denken das Schwarzwild nur wegen dem von uns produzierten Hausmüll in die Stadt kommt, dies kann ich durch meine jahrelangen Beobachtungen widerlegen. Vielmehr ist der gestiegene Populationsdruck am Stadtrand Hauptursache in Verbindung mit einem reichhaltigen Nahrungsangebot rund ums Jahr, weshalb Sauen urbane Lebensräume für sich entdecken. Sie gewöhnen sich schnell an die Gegenwart der Menschen und lernen das von ihnen keine wirkliche Gefahr ausgeht. Viele Stadtbewohner begünstigen diese Situation noch zusätzlich durch gezieltes Füttern oder durch unsachgemäße Entsorgung von Abfällen hinterm Gartenzaun. Hinzu kommen gepflegte Parkanlagen und Vorgarten die reich an Insekten und Würmern sind, sowie Alleen gesäumt mit Eichen und Buchen. Die kulinarischen Köstlichkeiten der Metropole Berlin sind sowohl für Mensch als auch für unser Wild schier grenzenlos, es gibt immer was neues zu entdecken. Die Jahresstrecke im Jagdjahr 2017/2018 bezogen auf die befriedeten Bezirke der Stadt Berlin beträgt 593 Stück Schwarzwild (einschließlich Fallwild) und macht somit ca. 22 Prozent der Gesamtstrecke des Bundeslandes Berlin aus (2644 Stück Schwarzwild, einschließlich Fallwild).
KAPITEL #3 TIMING IST ALLES
Ich laufe die Straße weiter entlang, vorbei an Häusern und Gärten. In den Wohnzimmern flimmern die Fernseher, vereinzelt bringt noch jemand den Müll raus, Autos parken in der Einfahrt und ein Fahrradfahrer fährt an mir vorbei. Es ist ein ganz normaler Donnerstag Abend am Rande von Berlin. Ein surreales Bild, man glaubt kaum, dass eine Straße weiter in einem Gebüsch der Keiler seinen Einstand haben soll. Wir werden es heute hoffentlich herausfinden. Plötzlich höre ich Schritte und das quietschen eines Gartentors, im nächsten Moment steht eine ältere Dame mit ihren Fiffi vor mir. Ich grüße sie freundlich und setze meinen Gang fort, sie scheint nicht bemerkt zu haben, dass ich ein Gewehr bei mir trage, aber wer rechnet schon damit. Leider schlägt sie den gleichen Weg ein und läuft nun hinter mir. Das hat uns gerade noch gefehlt. Nur noch eine Querstraße trennt mich von unserem Ziel. Ich suche nach einer Möglichkeit unauffällig die Dame an mir vorbei gehen zu lassen und wechsele daraufhin die Straßenseite. Ich verlangsame meinen Schritt, nur noch wenige Meter trennen mich von der Kreuzung und ich hoffe, dass die Dame gleich nach links abbiegen wird. Von der Kreuzung aus habe ich aus ca. 12 Metern Entfernung perfekte Sicht auf die andere Straßenseite, um von dort das besagte Gebüsch zu beobachten, in dem der Keiler seinen Einstand hat. Das Schussfeld ist gut, da das Gebüsch eine kleine Grünanlage ziert und das Geschoss beim Durchschlagen des Wildkörpers im gewachsenem Boden verschwinden kann. Es ist 22:53 Uhr und wir sind am Einsatzort angekommen. Die Dame ist wie erhofft nach links abgebogen, nun ist weit und breit niemand mehr zu sehen. Ich schalte das Wärmebildgerät ein, um mir einen Überblick zu verschaffen. Schemenhaft ist eine Wärmequelle in dem Gebüsch zu erkennen, jedoch wird diese durch dichtes Blattwerk verdeckt. Es lässt sich nur erahnen, das sich ein größeres Tier darin verbirgt. Scheint als hätten wir Glück. Jetzt heißt es abwarten und den richtigen Moment abpassen. Ich stehe im halben Wind, nehme vorsichtig die Waffe von der Schulter und suche eine sichere Auflage. Der Postbriefkasten an der Ecke bietet sich hierfür bestens an. Während ich mich einrichte und eine bequeme Position zum Auflegen einnehme, schaue ich durch das Zielfernrohr um die Lichtverhältnisse zu prüfen. Das Laternenlicht in der Stadt ist oft Fluch und Segen zugleich, es kommt nicht selten vor, dass das Streulicht den gesamten Blick durchs Zielfernrohr trübt. Doch heute passt einfach alles. Gerade als ich die Waffe aus dem Anschlag nehme, fängt das Gebüsch an zu leben, die dazugehörigen Geräusche sind eindeutig. Hier hat jemand gerade sein Nickerchen beendet. Die Waffe fest im Anschlag, beobachte ich die Szenerie mit 4- facher Vergrößerung und warte darauf, dass der Keiler seinen Wurf aus dem Gebüsch schiebt. Es dauert keine Minute und er tut mir den Gefallen. Langsam und vorsichtig kommt das Haupt zum Vorschein, um zu checken ob die Luft rein ist, als der gedämpfte Knall der 8x57is durch die Straßen peitscht. 22:58 Uhr, der Keiler liegt im Schuss und so plötzlich der Knall zu hören war, genauso schnell kehrt wieder Ruhe in der Straße ein. Das nennt man Timing, ich hätte wohl keine Minute später eintreffen dürfen.
STADTJAGD // SICHERHEIT STEHT VOR JAGDERFOLG
Die Pirsch auf Schwarzwild ist anspruchsvoll, besonderes im urbanen Bereich, da der sichere Schuss stets an erster Stelle steht. Zwar bekommt man Wildschweine in der Stadt oft in Anblick, aber genauso oft kann kein Schuss angetragen werden, da sie zum Beispiel vor einem parkendem Auto stehen, kein Kugelfang vorhaben ist oder sie schnell über eine Straße wechseln. Das Schwarzwild hat sich perfekt auf ein Leben in der Stadt eingestellt, besonders die Leitbachen wissen wie sie ihre Rotte sicher durch die Straßen Berlins lotsen. Diese Erfahrung macht es oftmals schwer an eine Rotte heranzukommen und Stücke hieraus zu erlegen. Der Kugelschuss im Wohngebiet stellt eine extreme Gefährdungslage da, es besteht ein erhöhtes Risiko von Personen- und Sachschäden. Daher nimmt die Schussdisziplin und der Präzisionsschuss eine zentrale Rolle bei der Ausübungen der Stadtjagd ein. Man bekommt nur wenig Möglichkeiten einen gezielten Schuss in der Stadt anzubringen. Nicht selten handelt es sich hier um Schusssektoren die nur wenige Zentimeter breit sind. In diesem Moment muss alles passen, um sicher Beute zu machen. Für die Ausübung der Jagd in städtischer Kulisse ist ein hohes Maß an Erfahrung notwenig. Hier geht es in erster Linie darum sich selbst in die optimale Position zu einem Wildschwein oder einer Rotte zu bringen. Zwar ist das Schwarzwild in der Stadt an Menschen gewöhnt, jedoch wissen sie ganz genau wann es ihnen ans Leder geht. Daher sind die Grundregeln der Pirsch stets zu beachten, die G3 - Geruch, Geräusch und Gang sind zwar einfach zu merken aber je nach Situation nur schwer umzusetzen.
KAPITEL #4 STADTJÄGER, DEIN FREUND UND HELFER
Langsam trete ich an den Keiler heran und vergewissere mich mit Hilfe des Wärmebildgerätes ob noch Leben im Wildkörper ist. Die Sau liegt, die Anspannung setzt sich und Erleichterung macht sich breit. Das Geschoss ist direkt hinter dem Teller eingeschlagen, ein perfekter Schuss ohne Flucht. Bei genauer Betrachtung zeigt sich die Größe des Bassen. Mühsam versuche ich den Wildkörper aus dem Gebüsch zu bergen. Mit einem kräftigem Ruck ist es passiert und die Sau liegt abholbereit auf dem Gehweg. Schnell mache ich mich auf dem Weg zurück zum Auto, um den Keiler einzuladen und an der Kühlzelle zu versorgen. Parallel informiere ich den Polizeiabschnitt über den Schuss, der Polizist am anderen Ende der Leitung ist selbst Jäger und wünscht mir Waidmannsheil. Bei verladen des Keilers treffe ich auf eine alte Bekannte, die Dame mit ihrem Hund wurde durch den Schuss angelockt und wollte nach dem Rechten schauen. Ich gebe mich als Stadtjäger zu erkennen und unterbreche meinen Versuch die Sau auf die Ladefläche zu verfrachten. Die Dame entgegnet mir mit einem freundlichen guten Abend, nachdem sie das erlegte Wildschwein gesehen hat. Im Gespräch erzählt sie mir, das sie sich seit einigen Tagen nicht mehr traut nachts mit ihrem Hund die gewohnte Runde durch die Grünlage zu gehen, da sie des öfteren dem Keiler bereits über den Weg gelaufen ist. Mit Geduld und Verständnis erkläre ich ihr, dass normalerweise keine Gefahr von Wildschweinen ausgeht und Angriffe oftmals auf ein Fehlverhalten des Menschen zurückzuführen sind. Zudem schilderte ich ihr weshalb der Keiler sich hier so wohl gefühlt hat. Sie scheint sichtlich erleichtert, bedankt sich bei mir für die Erlegung und verabschiedet sich. Zurück bei der Arbeit wuchte ich die Sau mit einer herzhaften Umarmung auf die Ladefläche meines Pickups. An der Kühlzelle angekommen zeigt die Waage ein Aufbruchgewicht von 86 Kilogramm. Es ist 0:38 Uhr, der Vorplatz der Kühlzelle ist wieder sauber und eine erfolgreiche Stadtjagd in mitten der Metropole Berlin geht zu Ende.
HANDWERK UND TRADITION // WIR ALLE SIND BOTSCHAFTER
Bedingt durch die urbane Kulisse können Schüsse oftmals nur aus naher Entfernung abgegeben werden, daher ist auf den Haltepunkt zu achten. Die Geschossflugbahn kreuzt an zwei Punkten die Visierlinie und schießt Fleck. Befindet sich ein Ziel jedoch im Nahbereich so kommt es zu einem Tiefschuss. Dieser Tatsache sollte man sich stets Bewusst sein, gerade bei einem Schuss hinter die Teller, da der für das Tier absolut tödliche Bereich sehr klein ist. Nicht umsonst ist der Tellerschuss innerhalb der Jägerschaft als Haltepunkt umstritten, da der kleinste Schießfehler oft in einer ergebnislosen Nachsuche endet. Für mich ist dieser Haltepunkt jedoch in der Stadt von großem Vorteil, da hierdurch Totfluchten vermieden werden, was gerade im Bereich stark befahrener Straßen oder in mitten eines Wohngebiets wichtig ist. Daher trainiere ich auf dem Schießstand regelmäßig Schüsse auf unterschiedlichste Distanzen, um Entfernungen zu schätzen und damit verbunden den Haltepunkt festzulegen. Die Waffe ist unser Werkzeug, nur durch ständiges Training können wir unsere Fertigkeiten in jagdlichen Situationen und am Abzug verbessern, um eine sichere Erlegung des Wildes zu gewährleisten. Neben der jagdlichen Erfahrung ist die Kommunikation mit unseren Mitmensch für uns Jäger wichtiger denn je, um die Akzeptanz gegenüber der Jagd in der Gesellschaft zu fördern. Die Stadtjagd bietet mir die Möglichkeit mit Menschen in den Dialog zu treten, die oftmals keinerlei Berührungspunkte mit der Jagd haben und diese daher aus bekannten Gründen ablehnen. Nur im Gespräch können wir als Botschafter der Jagd diese Vorurteile abbauen und die Zukunft unseres Handwerkes bewahren. Dies erfordert Geduld, Offenheit und Transparenz, aber dies zahlt sich durch Akzeptanz und Respekt aus. Wir alle sind Botschafter unseres Handwerkes und unserer Tradition, egal ob wir die Jagd im Feld, im Wald oder in der Stadt ausüben.
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